Künstlerinnenprofil Barbara Cleff

Eindrücke von Inszenierungen Barbara Cleffs legen Beschreibungen nahe, die an lebendig gewordene Skulpturenparks erinnert – tableau vivandes der Tanzwelt. Die auf der Bühne entstehenden Bilder projizieren sich als weite, ausladende erzählerische Landschaften und Assoziationsketten in die Köpfe der Zuschauer. Es ist die Tiefe, die Authentizität und das Gefühl von Erfahrung und entspannter, lebenserfahrener Reife und Kraft, das die mit großer Präzision und Detailtiefe choreografierten Arbeiten der gebürtigen Wuppertalerin Barbara Cleff auszeichnen.

paradiso. Kriechende, taumelnde scheinbar ganz in die eigene Bewegung versunkene Schemen dringen aus dem Dunkeln ins Licht. Körper - beseelt - aber sich unsicher vortastend auf vorgegebenem Weg unterwegs: getanzte Werdung des Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies.

paradiso. Eine einzelne Frauengestalt, auf der Mitte der Bühne. Eine einsame Skulptur, die den Raum um sich herum durch die Bewegung ihres Körpers zum Tanzen bringt. Den Apfel der Sünde unter dem Kinn eingeklemmt, erscheint sie verstrickt in ein Bewegungsnetz, gefangen im Versuch sich zu befreien. Doch ungeachtet jedes Tanzschritts verbleibt der Apfel doch an Ort und Stelle. Angewachsen, fester Bestandteil, nicht loszuwerden – wie die von ihm ausgelöste Erbsünde.

Erfahrungs-“Rucksack“

So wie der bildende Künstler etwa mit Papier, Stein oder Holz arbeitet, hat sich Cleff bewusst den Körper älterer Menschen, die keine größere Tanzerfahrung aufzuweisen haben, als Instrument künstlerischen, tanztheatralen Ausdrucks gewählt. Hier findet sie einen körperlichen Erfahrungsschatz vor, der ein wesentlich breiteres Repertoire an Emotionen und Erlebnissen aufweisen kann, als es den allermeisten jüngeren Körpern möglich wäre. Cleff will in Ihren Arbeiten, den unangetasteten - ja unverdorbenen - Erfahrungs-“Rucksack“ ihrer tänzerisch weitgehend ungeschulten Performer aufschnüren. Den gereiften Körper empfindet Cleff als weitaus ergiebiger in der Fülle an Lebendigkeit, die sich aus ihm tanztheatral entschlüsseln lässt:
„Der hat ja auch schon mehr erlebt und in sich aufgenommen. Da ist mehr Verlust, mehr Freude, mehr Leben drin.
So entstehen Tanzbilder von ergreifender Schönheit, feinsinniger Sehnsucht und reicher, vollmundiger Erzählkraft.

Barbara Cleff, Jahrgang 1961, erhielt ihre Ausbildung unter anderem an der Hogeschool voor de Kunsten Arnhem, der Rotterdamse Dansacademie und an der Folkwanghochschule in Essen. Unter anderem unterstützte sie danach als choreografische Assistentin mehrere Jahre das Tanztheater Bremen unter der Leitung von Susanne Linke und Urs Dietrich. Am Theaterhaus Jena war sie eine Spielzeit lang als Regieassistentin auch für das Körpertraining des Schauspielensembles verantwortlich.

Seit 2000 konzipiert und erarbeitet sie als freie Choreografin schwerpunktmäßig Projekte mit Laien, vorwiegend für ältere Menschen. Im Rahmen dieses Arbeitsfeldes begründete sie 2009 unter anderem das bisher höchst erfolgreiche seniorenTanztheater Dortmund, das sie in drei Jahren als Künstlerische Leiterin
mit konstanter und leidenschaftlicher Arbeit zu einem festen Bestandteil des Ballett / Theater Dortmund gemacht hat. Nicht zuletzt fußt dieser Erfolg wohl auf Cleffs ausgeprägter Fähigkeit, Menschen mit ihrer Liebe zur künstlerischen Materie Tanz nicht nur anzustecken, sondern diese selbst vollkommenen Laien emotional eindrücklich und in der Bewegung verständlich zu vermitteln. Dabei bleibt sie stets selbst Suchende, die sowohl jede neue Begegnung, als auch den Prozess der in Form gebrachten Bewegung immer auch wieder als Prozess innerer Spiegelung und Inspiration, aber auch künstlerischer Weiterentwicklung begreift.

Der reife Körper

Durch kontinuierliche Arbeit mit ihren TänzerInnen legt Cleff die Grundlagen für ein kreatives Entstehen der tänzerisch weitgehend weißen Leinwand ihres Ensembles und das damit verbundene Heben des Schatzes, der dem reifen Körper innewohnt. Unter Cleffs Leitung erarbeitet das 25 köpfige Ensemble aus Männern und Frauen im Alter ab 55 Jahren grundlegende Elemente des Tanztheaters und entwickelt Choreographien, in denen der aufregende und einzigartige Ausdruck des gereiften Körpers sichtbar wird.

Cleff gibt hier immer wieder neue feste Aufgabenstrukturen vor, in denen die TänzerInnen sich mit den Elementen des Tanzes, Zeit Kraft und Raum vertraut machen können. Vielfach sind es musikalische Strukturen, die als Basis dienen und sich später mit räumlichen Strukturen und bildnerischen Elementen zu komplexen Anordnungen und Szenen verbinden. Interaktion und Emotion sind hierbei ebenso Bestandteile wie das Erforschen des Verhältnisses zu unterschiedlichen Umgebungen (settings), Gegenständen oder Texten.

So schult und testet Cleff ihr Ensemble gleichermaßen und ermöglicht so ganz nebenbei auch innerhalb des Ensembles die Entwicklung eigener Strukturen und Dynamiken der Verhältnisse zueinander.

Tanzschrift

Die Aufgaben geben dabei einen Rahmen vor, in dessen Freiräumen das Entdecken des eigenen Körpergefühls und eigener Bewegungsvokabeln auch für den tänzerisch nicht geschulten Geist und Körper angstfrei und hemmungslos möglich ist. So erleben die TänzerInnen Cleffs einen Prozess der Bewusstwerdung des eigenen Körpers und seiner Möglichkeiten, und erarbeiten durch dieses tänzerische „Method Acting“ eine gleichberechtigte eigene Form tänzerischen Ausdrucks.

Im vermeintlichen „üben“ liegt dabei synergetisch auch für die Inszenierung ein sich gegenseitig befruchtender Prozess des Erkennens und der Inspiration. In Cleffs Choreographien ist Bewegung Ausdruck von Persönlichkeit und gesammelter Lebenserfahrung: natürlich, unprätentiös und jenseits jedes jugendlichen Strebens nach physischer Perfektion, räumt sie auch dem gealterten Körper selbst Raum ein, seine Geschichte zu erzählen.

Die gelernte Tanzpädagogin Barbara Cleff versteht es, in den Körpern und Bewegungen ihrer TänzerInnen zu lesen, lässt sich von den im Probenprozess entstehenden Mustern berühren und leiten, kombiniert und re-kombiniert die erfassten Elemente in neue Sinn- und Bewegungsformen. Im Zwischenraum zwischen fester Aufgabenstruktur und individueller Bewegungsart entstanden, ist die daraus resultierende Tanzschrift für den Zuschauer in ihrer einzigartigen Echtheit gleichermaßen bildhaft, eindringlich und bleibend.

Inszenierung

In ihren Inszenierungen arbeitet Cleff interdisziplinär und verwendet neben Elementen aus Sprechtheater und Singspiel auch Mittel der Medienkunst wie etwa Video- oder Lichtinstallationen. Auch die Auswahl der Musik ist immer Teil der Dramaturgie. Feinsinnig und mit sicherer Hand auf die tänzerischen Elemente abgestimmt entsteht so ein orchestrales Zusammenspiel der künstlerischen Elemente, die sich zusammenfinden, in Dialog treten und ineinander zum Neuen verschmelzen.

Die derart entstandenen Bilder sind in ihrer Wirkkraft dabei so stark und einprägsam, dass sie Assoziationen an skulpturale Installationen zulassen. Der Körper als wandelnde, tanzende Skulptur also, der in dieser Eigenschaft das Weggelassene, den Körper rahmenden Bühnenraum eben, kontinuierlich zu verändern – zu tanzen – versteht.

Ebenso wie sie die Körpersprache der TänzerInnen ganz organisch entwickelt, bewegt Barbara Cleff auch die Themen und Gedankengänge ihrer Inszenierungen weiter – so gebären Stücke neue Stücke und setzen einen kontinuierlichen, natürlichen Prozess fort, in dem sich der künstlerische Impetus aus der andauernden Beschäftigung mit den aktiven Körpern speist und weiterentwickelt. Die auf diese Weise entstehenden seriellen Elemente und starken Interdependenzen zwischen den Arbeiten Cleffs, lassen den Corpus ihrer Werke wie eine logische, ja geradezu zwangsläufige gedankliche Abfolge wirken und als ein geschlossenes Ganzes erscheinen.

Gerade durch das Inszenieren des Alten und Reifen gelingt Barbara Cleff eine erfrischend „neue“ Herangehensweise an die Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers im theatralen Kontext und versteht es, den Betrachter mit ihrer wirkmächtigen Inszenierung dieses einzigartigen künstlerischen Instruments anzuregen und zu verzaubern.

Auf diese Weise hat Cleff nichts weniger als eine unverwechselbare Tanzschrift entwickelt, die in dieser Form einzigartig ist. Eine Tanzschrift, die - wenn man so will - in ihrer Lebenstiefe erzählerisch in Bereiche vorzustoßen vermag, die dem jüngeren Körper verschlossen bleiben und die dem Zuschauer durch ihre kraftvolle, selbstbewusste Ruhe und den „aufgeschnürten Rucksack“ reifer Natürlichkeit, lange und nachhaltig im Gedächtnis bleibt.

Steffen J. Gerz
www.steffen-gerz.com